MEA CULPA – MEA MAXIMA CULPA

DOCH NOCH FRIEDEN?

Das hätte ein wirklich Frohes Neues Jahr werden können. Froh deswegen, weil das alte Jahr ohne belastende Hypothek hätte enden können. Alle hätten leichtfertig und leichtfüßig ihre Deckungen verlassen und sich in herzlicher Umarmung die schönsten Neujahrsgrüße übermittelt. Das wäre dann der Frieden gewesen. Jener legendäre Frieden, von dem es heißt, man schließe ihn mit seinen Feinden und nicht mit seinen Freunden. Nur wer des Kämpfens so müde ist, dass ihm das ganze Leben für solch makabren Schabernack zu kurz erscheint, wird wohl ermessen, was ich meine.

Wir trafen uns dann am 29. Oktober im Cafe Strauss auf dem Friedhof. Ein wenig schaudernd, mit der bangen Frage „Ist das jetzt der Platz, ist das jetzt die Zeit für einen Showdown?“, betrat ich das Lokal. Als dann nach wenigen Minuten auch der Storck im Cafe Strauss eintraf, müssen wir für Außenstehende den Eindruck äußerst aufgeräumter Stimmung hinterlassen haben. Unter Scherzen und geistreichen Bemerkungen wurde ein Cafe nach dem anderen hinuntergespült und alsbald unterbreitete mir mein Gegenüber den Vorschlag „Schreiben Sie doch einen Text, Herr Lückert, in meinem Namen, in dem ich alles bedauere, was ich Ihnen angetan habe. Diese dumme Sache muss doch endlich mal ein Ende haben.“  Ein Mann – ein Wort. Vereinbart wurde, dass ich meinem Kontrahenten in absehbarer Zeit einen Textvorschlag schicken würde, in dem er, Storck, in der ersten Person Singular über die mir angetanen Dinge spricht und darüber hinaus, bar jeden Zweifels sein Bedauern äußert. Diesen Text wolle er selbst dann bis Weihnachten veröffentlichen. Für Veröffentlichungsart und Ort war das Gemeindeblatt und die Website der Gemeinde Heilig Kreuz – Passion vorgesehen. Dabei war ich ausdrücklich damit einverstanden, dass er den von mir verfassten Text durchaus in seinem Sinne verändern könne und er erst dann von uns beiden zur Veröffentlichung freigegeben werde. Alles weitere ist bekannt: Eine Veröffentlichung des Textes hat es ebenso wenig gegeben wie auch nur die geringste Storcksche Initiative, geschweige denn den Ansatz irgendeiner Form der Bitte um Entschuldigung.

Um der unseligen Sache dennoch ein irgendwie würdiges Ende zu bereiten, haben wir uns entschlossen, das Dokument zu veröffentlichen. Hier folgt es.

Klaus Lückert, 17.01.2022

Berlin, den 18. November 2021

Mea Culpa – Mea maxima Culpa!

Richtigstellung Peter Storcks, Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde Heilig Kreuz – Passion, zu seinen Vorwürfen gegen Klaus Lückert und anderer Gegner einer Bebauung der historischen Bergmannfriedhöfe

Wenn wir an Gruppen und Gemeinschaften in unserer Gesellschaft denken, verbinden wir diese nicht selten mit zentralen Begriffen, die ihre Anliegen hinreichend verdeutlichen. Ich denke, wenn wir das einmal in Bezug auf uns Christen bedenken, kommen wir da nicht zu dem Ergebnis, die Begriffe „Verzeihen“ und „Vergeben“ seien ganz zentral für unser christliches Anliegen? Ja, denn bekanntlich hat sich der Stifter unserer Religion persönlich hingegeben, damit sein Sterben, sein Tod als hinreichendes Strafentgelt vor und von Gott angenommen werde. Soweit der theologischen Vorrede; und Buß- und Bettag ist auch schon wieder vorbei.

Jetzt aber wird’s persönlich. Ich selbst, bekanntlich Pfarrer der evangelischen Gemeinde Heilig Kreuz – Passion, bekenne hiermit, meinen Mitchristen Klaus Lückert zutiefst beleidigt und seinen guten Ruf beschädigt zu haben. Ich habe dies nicht nur einmal getan, sondern wiederholt und muss gestehen, dass ich mich umso wütender in meinen Angriffen zeigte, als ich erkennen musste, dass der von mir Angegriffene in der Lage war, sein eigenes Anliegen mittels müheloser Rhetorik zu verteidigen. Nun aber mal konkret: Üble Dinge entspringen nicht selten den besten Absichten. Wo sollte man dies nicht besser wissen als in unserem Kreuzberger Heimatbezirk, der einst Ausgangspunkt für Ideen der grandiosen Art war. Heute sind wir alle reichlich desillusioniert, streben aber weiter nach dem Guten. Solches zu tun, entschlossen sich nicht wenige aus unserer Gemeinde – ich war unter ihnen – vor gut sechs Jahren, die Initiative unserer Bundeskanzlerin zu unterstützen, und setzten sich dafür ein, muslimische Zuwanderer einzuladen, unser Land in mancherlei Hinsicht zu bereichern. Ich war damals unter denjenigen, die unserer Kirchengemeinde und damit auch der Öffentlichkeit in unserem Bezirk Kreuzberg das Angebot der Errichtung eines Gebäudes auf den Bergmannfriedhöfen gemacht haben. In diesem Gebäude sollten etwa 150 Migranten aus der islamischen Welt untergebracht werden. Insofern musste das Gebäude sowohl von Außen- wie Innenausstattung einer solch großen Anzahl Erwachsener genügen. Selbstverständlich musste für diesen Zweck einiges der ursprünglichen Friedhofsbepflanzung und Architektur geopfert werden. Aber wir waren uns seinerzeit sicher: „Siehe, in Ungerechtigkeit bin ich geboren, und in Sünde hat mich meine Mutter empfangen. Siehe, du hast Gefallen an der Wahrheit im Innern, und im Verborgenen wirst du mir Weisheit kundtun. Entsündige mich mit Ysop, und ich werde rein sein; wasche mich, und ich werde weißer sein als Schnee. Lass mich Fröhlichkeit und Freude hören, so werden die Gebeine frohlocken, die du zerschlagen hast. Verbirg dein Angesicht vor meinen Sünden, und tilge alle meine Ungerechtigkeiten! Schaffe mir, Gott, ein reines Herz, und erneuere in meinem Innern einen festen Geist!“ (Psalm  51, Verse 7-13)

Das hatte Klaus Lückert schon damals anders gesehen. Er und eine zunehmende Anzahl von Mitstreitern beharrten auf der Erhaltungswürdigkeit der Friedhöfe, unterstrichen den unschätzbaren kulturhistorischen Wert eines solchen gärtnerischen Kleinods mitten im Häusermeer der Großstadt. Diese Menschen weigerten sich, ihre zutiefst christliche Überzeugung zu verhehlen und deshalb erschienen sie uns in unserer, wie ich heute sage, Verblendung, als Feinde. Ich will hier offen eingestehen: Ja, ich habe mich dazu hinreißen lassen, in einer Predigt zum 3. Advent von der Kanzel inmitten unserer Kreuzberger Passionskirche den Klaus Lückert und seine Mitstreiter zu „verteufeln“, in dem ich sie verbal als „Rechtspopulisten“ in unmittelbarer Nähe von Neonazis einordnete. Ich ließ mich nicht nur dazu hinreißen, jegliches christliche Verständnis von Liebe und Dialog über Bord zu werfen, ja, ich steigerte mich da hinein, diese Leute aus unserer Gemeinde verbannen zu wollen. In Worten, gewiss, aber ich glaube, wir alle wissen, dass Worte bisweilen die Schärfe geschliffener Dolche aufweisen können. Am Advents-Sonntag begab ich mich dann zu einer von Lückert und seinen Freunden anberaumten Besichtigung der Friedhöfe. Auch dort packte „es“ mich wieder so heftig, dass ich den dort Anwesenden eine kurze Ansprache über Lückerts angebliche Nähe zum sogenannten Rechtspopulismus hielt. Ich verstieg mich zu der Behauptung, er sei ein Anhänger der seinerzeit von den Massenmedien in den Vordergrund des Interesses gerückten Pegida-Bewegung, ich behauptete, er fahre jedes Wochenende zu Treffen von rechten Gesinnungsgenossen nach Dresden. Nachdem er mir ausdrücklich widersprochen hatte, zieh ich ihn der Desinformation.

Mir fällt es heute schwer, eine hinreichende Erklärung für mein damaliges Verhalten zu entwickeln. Gewiss, ich könnte mich auf die aufgepeitschte Atmosphäre jener Zeit, auf die suggestiven Medienkampagnen mit ihren eindringlichen Schreckensbildern berufen. Ich mag mich aber nicht hinter hohlen Phrasen verstecken. Als Christ fühle ich mich selbstverständlich der Wahrheit, und das heißt auch dem wahren und wahrhaftigen Zeugnis verpflichtet. Und daran habe ich versagt.  Ja, ich bekenne, ich habe mich schuldig gemacht, „falsch Zeugnis“ über einen Nächsten geredet zu haben. Herr Lückert freilich sollte bald Schlimmeres noch erfahren: als nämlich radikale und fanatische Stimmen in sogenannten Social Networks des Internet dazu aufforderten, ihn und seine Familie zu bedrohen.

Heute treibt es mir die Schamesröte ins Gesicht, wenn ich daran denke, wie der zufällig vorbeiradelnde Herr Lückert von einem erwachsenen Teilnehmer einer Gruppe, die ich über den Friedhof geführt hatte, lautstark als Rassist beschimpft wurde. Ja. Ich hätte in diesem Moment einschreiten und klärende Worte sprechen müssen. Ich tat das nicht, blieb stumm, blickte vielleicht zu Boden und als Herr Lückert mich ansprach, wusch ich meine Hände in Unschuld und gab den verspäteten Pilatus: „Ich habe doch nichts gesagt.“

Natürlich ist die Rolle des Pontius Pilatus, die von der Bibel diesem zugewiesen wird, für einen Christen nicht akzeptabel. Sollte er einmal dennoch in sie hineingeraten, könnte, nein sollte, dieses Anlass zu ernsthaften Konsequenzen sein. Kommen noch die schändlichen Dinge hinzu, die mich mein christliches Gewissen zunehmend zu offenbaren gebietet, kann ich hier zunächst erst einmal ein lautes, ja, lautstarkes Nie Wieder! formulieren.

Peter Storck

Titel: MEA CULPA – MEA MAXIMA CULPA! / Klaus Lückert: Doch noch Frieden? (Teil 1), 17.1.2022 | Peter Storck: Mea Culpa – Mea maxima Culpa! (Teil 2), 18.11.2021 (den Beitrag als PDF öffnen)

Bergmannfriedhoefe.de – 17. Januar 2022