Kein Wohnungsbau auf den Bergmannfriedhöfen (Ein Protestschreiben der Initiative Bergmannfriedhöfe)
Wohnungsbau auf den Bergmannfriedhöfen – das wünscht sich hier fast niemand! Und so appellierten in Kreuzberg innerhalb weniger Wochen fast 4000 Personen an Politik und Kirche: „Für die Erhaltung der Bergmannfriedhöfe in Kreuzberg! Wir wenden uns entschieden gegen Wohnungsbau auf diesen Friedhöfen“. [1]
Doch trotz dieses großen und ungewöhnlichen Protests hat der Evangelische Friedhofsverband – Eigentümer der Bergmannfriedhöfe – kurz vor Ablauf des Sonder-Paragraphen 246 Baugesetz [2] einen Bauantrag im Kreuzberger Bezirksamt eingereicht.
Daraufhin übergab eine Handvoll Leute dem für Denkmalschutz zuständigen Staatssekretär Woop in der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa den handschriftlichen tausendfachen Protest. [3]
Paragraph 246 ist dafür gedacht, unter bestimmten Voraussetzungen im sog. Außenbereich auf nicht denkmalgeschützten Flächen für maximal drei Jahre Mobile Unterkünfte für Flüchtlinge zu ermöglichen. So geschah es beispielsweise auf dem Tempelhofer Feld, wo diese temporären Wohnquartiere inzwischen längst wieder leer stehen und auf ihren Abtransport warten. Damit will sich die Evangelische Kirche hier aber offensichtlich nicht begnügen.
Auch ohne Vorliegen eines Bebauungsplans (B-Plan) will sie an der Jüterboger Straße unbedingt für die Ewigkeit bauen. Allerlei Winkelzüge und Absprachen waren erforderlich, um den Bauantrag für eine Flüchtlingsunterkunft auf diesem Gelände mit Aussicht auf Erfolg einreichen zu können, was der kirchlichen Pressemitteilung vom 8.11.19 aber nicht zu entnehmen ist [4].
Ein hochkarätig besetztes, die Senatsverwaltung beratendes Gremium kommt zu einem für die Evangelische Kirche, den bezirklichen Baustadtrat und andere in die Genehmigung des Bauantrags involvierte Politiker niederschmetternden Urteil. Es macht nämlich darauf aufmerksam, „dass der geplante Neubau an dieser Stelle städtebaulich nicht hinreichend durchdacht ist“ und regt deshalb an, für ihn „einen alternativen Standort zu finden.“ Außerdem weist es darauf hin, dass kein B-Plan vorliegt, der Flächennutzungsplan (FNP) Friedhofsfläche, der Friedhofsentwicklungsplan (FEP) die Umnutzung zur Grünfläche vorsieht und keine Ausnahmetatbestände, die eine Bebauung rechtfertigen könnten, erkennbar sind. [5]
Der Landesbeauftragte für Naturschutz und Landschaftspflege empfiehlt den Senatsverwaltungen „bei der Umnutzung von Friedhofsflächen auf die zuständigen bezirklichen und kirchlichen Träger dahingehend einzuwirken, dass die Bedeutung der Berliner Friedhöfe für den Naturschutz, den Biotopverbund, das Stadtklima und die dem Ort angemessene Erholung als Grundlage für Entscheidungen zur Stilllegung von Friedhofsteilen oder ganzen Friedhöfen besondere Berücksichtigung findet.“ Was die Bergmannfriedhöfe betrifft, weist er zusätzlich auf deren kühlenden Aspekt hin, der in der Nacht mehrere Grad Celsius gegenüber dem bebauten Umfeld ausmache. [6]
Ende 2019 hat sich zunächst der grüne Baustadtrat des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg über die Bedenken der Unteren Denkmalschutzbehörde hinweggesetzt und dem Bauprojekt zugestimmt, wodurch sich ein Dissens zwischen Bezirksamt (Unterer Denkmalschutz) und der Fachbehörde Landesdenkmalamt (Senatsverwaltung für Kultur und Europa) im Hinblick auf die erheblichen denkmalpflegerischen Bedenken des Landesdenkmalamtes ergab. Nachdem die Ober(st)e Denkmalschutzbehörde (ministerielle Ebene der Senatsverwaltung für Kultur und Europa) diesen Dissens ausgeräumt hat, bewilligte das Bezirksamt am 30.12.19 kurzerhand den Bauantrag [7].
Die gewichtigen Belange des Denkmalschutzes sind weggewogen, die des Naturschutzes kaum beachtet und die Haltung der Bevölkerung, der sonst so gerne zitierten Basis, regelrecht missachtet worden. Das könnte sich rächen.
Sicher, die Kirche dürfte trotz Baukosten in Multimillionenhöhe erheblich profitieren. Doch so lukrativ das Projekt in finanzieller Hinsicht auch ist, genauso gewiss dürfte sein, dass die verantwortlichen Pfarrer der Evangelischen Kirche und nicht nur ihr letztlich einen Bärendienst erwiesen haben.
Was bis 10/2015 undenkbar gewesen war und seit 01/2020 zum Glück wieder verboten ist, nämlich die Erschließung eines Neubaugebietes im Außenbereich ohne gültigen Bebauungsplan, wurde am letzten Gültigkeitstag des Sonder-Paragraphen wahr: Die Erteilung einer Baugenehmigung durch das Bau- und Wohnungsaufsichtsamt des Bezirksamts von Friedrichshain-Kreuzberg. Da fehlen einem die Worte.
Die Öffentlichkeit hat den Bauantrag übrigens bis heute nicht zu Gesicht bekommen.
Wir protestieren gegen die Entscheidung. [8]
Initiative Bergmannfriedhöfe
[1] Siehe: https://bergmannfriedhoefe.de/beitrag/dokumente-zum-thema-protest-gegen-bebauung/
[2] Paragraph 246 Baugesetzbuch war mit dem Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz vom 20.10.15 am 24.10.15 in Kraft getreten und endete am 31.12.19, d.h. Bauanträge mussten bis zu diesem Termin bewilligt sein.
[3] Siehe: https://bergmannfriedhoefe.de/beitrag/initiative-bergmannfriedhoefe-presseinformation/
[4] Siehe: https://bergmannfriedhoefe.de/beitrag/evangelische-kirche-ekbo-pressemitteilung
[5] Siehe: https://bergmannfriedhoefe.de/beitrag/landesdenkmalrat-empfehlung/
[6] Siehe: https://bergmannfriedhoefe.de/beitrag/naturschutz-landschaftspflege-beiratsbeschluss/
[7] Siehe: https://bergmannfriedhoefe.de/beitrag/staatssekretaer-europa-mitteilung/
[8] Diese Zusammenfassung der Ereignisse rund um die Baugenehmigung wurde mit fachkundigen Personen abgestimmt. Sollten sich dennoch Fehler eingeschlichen haben, bitten wir um einen entsprechenden Hinweis.
(als pdf öffnen)
Bergmannfriedhoefe.de – 16. Dezember 2019, aktualisiert: 25.2.20