JETZT BELÄCHELT DIESEN SCHRÖDER KEINER MEHR

Jetzt belächelt diesen Schröder keiner mehr

Wir lesen: „Mehr als 20 Jahre lang hat Volker Schröder für das Gedenken an die Märzrevolution gekämpft.“ So beginnt ein spannendes Portrait, das Hans W. Korfmann vor einigen Jahren über Schröder verfasst hat. In der Kreuzberger Heimstraße betreibt dieser schon lange einen äußerst ungewöhnlichen Laden, vor dem Passanten immer wieder staunend stehen bleiben und Fachleute sich wundern. Und am Berlin-Marathon nahm er im vergangenen Jahr auch wieder teil.

Das Portrait:

Mehr als 20 Jahre lang hat Volker Schröder für das Gedenken an die Märzrevolution gekämpft. Jetzt will er noch im Tischtennis gewinnen.

Er war sich nicht sicher, ob er die Ehrung von höchster Stelle annehmen sollte. Schließlich sind sie eine Gruppe von vier Nonkonformisten, die 20 Jahre zuvor, im August 1978, die „Aktion 18. März“ beschlossen. Aber dann zog sich Schröder sein bestes Jackett an, setzte den Borsalino auf, stieg in seinen schwarz glänzenden Oldtimer und nahm Kurs auf das Kreuzberger Rathaus.

Pufendorf hatte leicht reden. Er kannte ja diesen Schröder kaum. Andere Politiker nervte der Aktivist schon 20 Jahre lang mit dieser fantastischen Idee von einem gemeinsamen Feiertag für Ost und West – da stand die Mauer noch unumstößlich! Doch nicht nur seine vermeintlichen Feinde, auch Schröders Freunde konnten die Geschichte von diesem März 1848, als die Berliner für Freiheit und Brüderlichkeit auf die Barrikaden stiegen und einige ihr Leben ließen, manchmal nicht mehr hören.

So machte sich Schröder in den zwanzig Jahren seiner Aktivität Freunde und Feinde in allen Parteien. Selbst die Stasi beobachtete mit Ferngläsern das Treiben des Idealisten, der jedes Jahr im März mit einer kleinen Gruppe Gleichgesinnter zum Friedhof der Märzgefallenen in Friedrichshain zog und an der einzigen Gedenkstätte für den glorreichen Tag einen Kranz niederlegte. In einem Beobachtungsbericht vom 3. April 1989 aber kam auch die Staatssicherheit zu dem beruhigenden Schluss: „Es gelang dem Schröder jedoch nicht, der ,Aktion 18. März‘ einen beachtenswerten politischen Einfluß zu verschaffen.“ Die Befürchtung, dass sich „die Feindorganisation Ost-West-Dialog e.V. Berlin West“ an den Aktionen beteiligen würde, verwirklichte sich nicht.

Für den Beamten, bei dem Schröder vor neun Jahren auftauchte und sein Patent für die erste „Analbürste“ der Welt anmeldete, ist Schröder wahrscheinlich noch immer ein Idiot. 1500 Stück hat er produzieren lassen, aus Naturborsten, in zwei Stärken, für die mehr oder weniger empfindlichen Charaktere. Erklärtes Ziel ist es, die 1500 Bürsten zu verkaufen. Wenn der Umsatz nicht plötzlich einbricht, hat er das Ziel in 40 Jahren erreicht.

Als sie eines Tages auf einem Ausflug dem Bürstenfabrikanten Schröder begegnete und sich in ihn verguckte, stand ihr Entschluss fest. Also fuhr die vornehme Tochter des Direktors der Firma Mannesmann mit einem Chevrolet bei dem Bürstenmacher vor. Und heiratete ihn – zum Entsetzen ihres Elternhauses. Jahre später, sie war 43 Jahre alt, brachte sie während einer kurzen Entwarnung zwischen den Angriffen der angloamerikanischen Bomberverbände im Dezember 1942 ihr fünftes Kind, den Sohn Volker, zur Welt. Inzwischen ist sie 101.

Einer, der so Verschiedenes unter einen Hut und in einen Schädel bringt, sorgt für Misstrauen. Doch gelang es ihm gerade mit dieser scheinbaren Undogmatik, während seiner zwanzigjährigen Agitationsarbeit Mitstreiter aus den unterschiedlichsten Lagern zu vereinen.

Umsonst. Den roten Feiertag im Kalender des geeinten Deutschlands gibt es noch immer nicht – aber seit dem vergangenen Jahr wird der 18. März vor dem Brandenburger Tor gefeiert. Auf einem gleichnamigen Platz. Schildbürger Schröder hat gewonnen. Zwar sträubte sich der Bausenator Peter Strieder bis zuletzt gegen den Schildertausch, doch am Ende sah auch er ein, dass ihm im Kampf gegen diesen Marathonläufer irgendwann die Luft ausgehen würde. Am Ende betrat er sogar persönlich den Platz, um dem Sieger die Hand zu reichen. Fair, wie es üblich ist unter Sportsmännern.

Frankfurter Rundschau – 2001 / © Hans W. Korfmann

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Bergmannfriedhoefe.de – 07. Januar 2022