PROTEST IM SELBST ERNANNTEN BEZIRK DER GUTMENSCHEN

Protest im selbst ernannten Bezirk der Gutmenschen

Ein Kommentar zu dem am 25.1.2017 von Antje Lang-Lendorff in der Taz erschienenen Artikel „Auf dem Friedhof werden Zimmer frei“.

Zitieren wir zunächst einen dazu in der Taz erschienenen Leserbrief: „echt, das Wort ‚Gutmenschen‘ lebt noch? Hat in der taz wohl ein neues Zuhause gefunden. Immer schön pflegen, damit es nicht plötzlich ganz ausstirbt, gell ; )“. Nun, wie sagte der Alte Fritz noch? Genau: „Soll doch jeder nach seiner Façon selig werden!“ Ob die Autorin von „Auf dem Friedhof werden Zimmer frei“ diese gerne mit Flüchtlingen belegt sehen wollte, wissen wir nicht. Was wir jedoch wissen, ist, dass sie den Protest mit dem Begriff „Gutmenschen“ verknüpft hat, der ja oftmals verunglimpfend gebraucht wird. Sie wollte damit anscheinend zum Ausdruck bringen, dieser sei nicht ernstzunehmen.

Erinnern wir uns: Im Jahr 2016 hatten sich bekanntlich sehr viele Menschen aus verschiedenen Gründen und unterschiedlichen Milieus kommend, für den Erhalt der als Berliner Gartendenkmal ausgewiesenen Grünfläche an der Bergmannstraße eingesetzt. Einige hatten auch erfolgreich Unterschriften gegen das Bauprojekt gesammelt. Schließlich kam es vorschriftsgemäß zu einer vom Friedhofsverband ausgerichteten Anwohner-Informationsveranstaltung in der Passionskirche, auf der das Projekt der Öffentlichkeit präsentiert werden sollte.

Dass während der Veranstaltung vom Podium aus keine Einwände erhoben wurden, war zu erwarten. Immerhin sollte das Publikum im Anschluss Gelegenheit erhalten, auch kritische Fragen und Einlassungen vortragen zu dürfen. Der Autorin scheint es aber weniger um die Argumente gegangen zu sein als um das Erscheinungsbild der Bebauungsgegnerinnen und -gegner, darunter, wie sie schreibt, beispielsweise auch alte im Publikum ausgemachte Zopfträger und Strickjackenträgerinnen. Da jedoch die Einwände der Kritikerinnen und Kritiker des Projekts im Anschluss an die Vortragenden unentwegt von – wir möchten fast sagen – kreischenden Weibern und aggressiven Kerlen (Das waren keine guten Menschen!) gestört wurden, wäre es sicher angebracht gewesen, auch diesen Sachverhalt anzusprechen. Stattdessen behauptete die Autorin nicht nur zu unserer Überraschung, die Kritiker der geplanten Flüchtlingsunterkunft seien in der Passionskirche deutlich in der Minderheit gewesen, der Abend sei für Kreuzberger Verhältnisse zivilisiert verlaufen und niemand sei niedergebrüllt worden. Nun denn . . .

Umso erfreulicher ist es dagegen, wie deutlich sich die Leser/innen/schaft der Taz auf die Seite dieser Strickjacken- und Zopfträger geschlagen hat. Ihr war wohl bewusst, dass während der von Peter Storck moderierten Veranstaltung einiges gewaltig aus dem Ruder gelaufen war.

Link zum Artikel (https://taz.de/Knappes-Bauland-in-Kreuzberg/!5374952) und einige Auszüge daraus: Es ist kalt und zugig auf dem Kreuzberger Marheinekeplatz. Trotzdem versammeln sich am Dienstagabend mehrere Frauen und Männer vor dem Eingang der Passionskirche. Sie halten Schilder in die Luft. […] Was daherkommt wie klassische Kreuzberger Gentrifizierungskritik ist in Wirklichkeit etwas für den Bezirk sehr Ungewöhnliches: Die Initiative setzt sich gegen den Bau einer Flüchtlingsunterkunft ein. […] Offenbar legen auch einige Anwohner in dem selbst ernannten Bezirk der Gutmenschen nicht viel Wert auf Syrer, Iraker oder Afghanen in ihrer Nachbarschaft. […] Bei der Info-Veranstaltung zeigen sich in der Passionskirche neben der Flüchtlingsdebatte exemplarisch all die widerstreitenden Interessen im Verteilungskampf um die wenigen innerstädtische Flächen. […] Grauhaarige Zopfträger sind ebenso darunter wie gepflegte Damen in Strickjacken. Vielen hier im Kiez liegen die Friedhöfe am Herzen. Manche besuchen regelmäßig die Gräber von Familienangehörigen. Andere beobachten Vögel, kommen zur Ruhe. […] Zwischen 2.500 und 4.000 Unterschriften gegen den Bau hätten sie gesammelt, sagt deren Wortführer Klaus Lückert, ein Mann in gelbem Kapuzenpulli. […] Bedenken gegen die Bebauung gibt es sehr wohl. „Ich finde das Konzept toll. Aber besitzt die Kirche keine anderen Gelände, die nicht Gartendenkmal sind, wo man das verwirklichen kann?“, fragt eine Frau in Turnschuhen. Ein anderer argumentiert mit der Ökologie: Immer mehr Grünflächen und Brachen in der Stadt würden versiegelt. „Die sind aber für das Mikroklima enorm wichtig.“ […] „Man kann den Bau nicht von der Zielgruppe trennen“, entgegnet Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne), die ebenfalls auf dem Podium sitzt. Friedrichshain-Kreuzberg habe keine anderen Flächen für die Unterbringung von Geflüchteten, die Menschen müssten aber aus den Massenunterkünften raus. „Nur deswegen wird da gebaut.“ […]

Auf dem Friedhof werden Zimmer frei. Weil auf dem Gelände eines Kreuzberger Friedhofs eine Flüchtlingsunterkunft entstehen soll, regt sich auch im selbsternannten Bezirk der Gutmenschen Protest.“ / Antje Lang-Lendorff, In: Die Tageszeitung, 25.1.2017

K.L. für die Redaktion

Bergmannfriedhoefe.de – 15. April 2024

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