„Oh Lord, please don’t let me be misunderstood“
Deutschland im Sommer – das war oft ein Problem und ist es jetzt wieder. Immer, wenn mal mehr als drei Tage hintereinander gutes Wetter ist, fühlen sich die Leute hier – egal ob mit oder ohne Migrationshintergrund – vom Schicksal diskriminiert und respektlos behandelt. In einem Sommer, der anderswo gefeiert und begrüßt würde, wird hierzulande sogar der Höhepunkt multikultureller Vervolksgemeinschaftung vorzeitig beendet: Der diesjährige Christopher-Street-Day wurde bereits um halb acht wegen einer der berüchtigten Unwetterwarnungen des dörflichen Wetterdienstes vorzeitig beendet. Die lustängstlich/angstlustig herbeigesehnte Naturkatastrophe erwies sich dann zwar als noch geringer wie das vom Berliner Volksmund als „Husche“ bezeichnete, ebenso vorzeitige wie effektlose Ergießen, aber dafür hatte man ein paar Minuten Panik erzeugt und massenhaft genossen. War zwar kurz, aber immerhin . . .
Kürzlich als wir, eine Handvoll Gegner der Friedhofsbebauung und Befürworter von Diesem und Jenem, uns beim Portugiesen erst mit Rosewein und dann mit literweise Portwein vollaufen ließen und uns die Mägen mit fettem Schweinefleisch a la Carne Alentejano vollschlugen, behauptete ein Mitstreiter doch allen Ernstes etwas Seltsames: Immer, wenn er den Song „The Tide is High“ von Debbie Harry höre, gelinge es ihm, das Bild der Sängerin als einer spacken, ausgemerkelten Euroblondine zu verdrängen und an ihrer Statt die Vision einer dunkelhäutigen, beleibten Afroamerikanern irgendwo am Ufer des Mississippi oder in einem Hafenviertel von Kingston (Jamaica) zu evozieren. „Weißt du, ich stelle mir sie dann als eine echt geile Alte vor . . .“ Zum Glück wusste der leicht Angetrunkene nicht, dass bei der geringsten Erwähnung solch anzüglicher Worte automatisch mein vor über 30 Jahren bei einem Straßenfest am Chamissoplatz erworbener Anti-Sexismus-Filter in Aktion tritt und alles Unziemliche bereits in den Hörgängen neutralisiert.
Während der dumme Kerl wohl noch seine unsäglichen Phantasmen eines alten weißen Mannes vor sich hin brabbelte, war ich in Gedanken bereits wieder im Kampf für den Erhalt der Bergmannfriedhöfe unterwegs. Eine nicht lange zurückliegende Begebenheit wollte meinen überfüllten Gedächniszellen partout nicht entweichen. Als ich mit dem Fahrrad die Ecke Jüterboger/Golßener Straße (also direkt am locus delicti) passierte, wurde ich unmittelbar von einem gellenden Schrei wie von einem Pistolenschuss gestoppt: „Da ist er, der Rassist, der Lückert!“ Bei dem das Geschoss abfeuernden Schützen handelte es sich um den Naturfreund und Berufsjungsozialisten Uwe H. Obwohl an diesem Tag der Sommer noch nicht all seine verwirrenden Potentiale entfaltet hatte, war unser Uwe doch ganz schön aus dem Häuschen. Insgesamt drei Mal wiederholte er: „Da ist er, der Rassist, der Lückert!“ Der solcherart Erregte bewegte sich schwankenden Schrittes um eine Gruppe von etwa 20 Personen, deren Mittelpunkt offenbar ein bekannter Kreuzberger Hassprediger bildete, der dem Uweschen Auftritt mit gesenktem Kopf und verschränkten Armen folgte, als sei er der pädagogische Leiter eines Theaterkurses, dem gleich die lästige Pflicht obliegen würde, die Auftritte der einzelnen Mitglieder kritisch, gleichwohl solidarisch zu beurteilen. Es gelang mir freilich nicht, eine genaue Kenntnis darüber zu erlangen, welch bizarren Ritualen oder anderen höchst merkwürdigen Dingen die obskure Gruppe eine Stunde vor Anbruch der Dunkelheit am Friedhofsgelände nachgehen würde. Eine Aktivistin mit zwar körperbetonendem, aber deprimierend grauem, Kleid schoss nicht nur mit ihrer Handykamera auf den wohl nicht erwarteten Zeugen. Die grau gewandete Person sollte mir dann unaufgefordert ihr verhärmtes Antlitz zuwenden, aus dessen verbittertem Mund (Mundwinkel rigoros nach unten gebogen, das muss Verbitterung sein) mehrfach die Worte „Verschwinde hier, du Schwein!“ zischelnd entströmten. Ein Anliegen, dem ich dankbar entsprach. Wer schlüge schon eine solche Chance aus, wenn sie von Menschen gewährt wird, die über allen ihnen zur Verfügung stehenden kommunikativen Kanälen verkünden: „Wir können auch anders!“
Zurück mit den Gedanken in die portugiesische Kneipe stellte ich mit Erleichterung fest, dass mein angetrunkener Tischnachbar inzwischen seine unerträgliche sexistische Faselei eingestellt hatte und unverwandt auf die gegenüberliegende Wand starrte, auf deren buckliger Raufasertapete gerade eine große schwarz-blau glänzende Spinne ein nicht mehr zu definierendes längliches Objekt vertilgte. „Willkommen zurück in der Realität“, ertönte es aus Tausenden konspirativen Mikrobenmündern, die mählich aus der von einem blitzförmigen Spalt gezeichneten Zimmerdecke auf die Häupter der Alkoholisierten sich fallen ließen, so als hätte ein Mikrobenleben bislang vor allem aus der Absolvierung eines psychotherapeutischen Intensivkurses bei der Frau Doktor Schenk-Steiner an der Südostflanke des Tempelhofer Feldes bestanden.
An just dieser Südostflanke wurde heute vor einer Woche der Prinz Nidal getötet, sein islamischer Leib aufgeschlitzt von den Kugeln aus vier automatischen Schnellfeuerwaffen wie ein brandenburgischer Acker im März durch die irrsinnige Pflügerei märkischer Bauern. Vier Tage später dann wurde der bleidurchschlitzte Leib, nur von einer palästinensischen Flagge in einem einigermaßen konstanten Zustand gehalten, in die islamisch geweihte Erde des Neuen Zwölf-Apostel-Kirchhofs in Schöneberg versenkt. Auf diesem Friedhof wird übrigens nicht gebaut. Die lieben Muslime verwahren sich dagegen, die Ruhe ihrer Verstorbenen durch niemals endendes Kleinkindergebrüll oder schmatzendes Aufklatschen der Rotzmasse bei Spuckwettbewerben niemals erwachsen Werdender stören zu lassen. Nun ja, könnte man sagen, was soll man und dabei ein weiteres Glas aromatischen Portweins über unsere vom Hass ausgezehrten Kehlen rinnen lassen, nun ja, immerhin verlangt Imam Storck ja (noch?) nicht, dass ein baufälliges Mausoleum auf den Bergmannfriedhöfen zu einem Mahnmal palästinensischen Freiheitsdurstes und islamischer Rache umgewidmet werden soll. Wie auch immer. Fürs Erste beschließen wir diese digitale Andacht mit dem Stoßgebet eines Propheten, der es wissen musste: „Oh Lord, please don’t let me be misunderstood“!
Die Redaktion. (als PDF öffnen)
Bergmannfriedhoefe.de – 16. September 2018