Birgit Leiß fragt sich in Das MieterMagazin des Berliner Mieterverein e.V. auf beeindruckende Weise Folgendes:
Was wird aus den Friedhöfen? Über die Nachnutzung überzähliger Bestattungsflächen streiten Kirchen, Anwohner und Planer (von Birgit Leiß)
In keiner anderen deutschen Stadt gibt es so viele Friedhöfe wie in Berlin. Sie sind nicht nur Begräbnisstätten und Orte der Trauer, sondern gleichzeitig Erholungsgebiete, grüne Lungen und kulturhistorisches Gedächtnis der Stadt. Doch der Bedarf an Bestattungsflächen ist in den letzten Jahrzehnten dramatisch zurückgegangen. Die Folge: Die Träger haben immer weniger Einnahmen, um die Friedhöfe zu pflegen und zu unterhalten. Was tun also mit den wertvollen innerstädtischen Arealen? Zum Park umgestalten? Hundefriedhöfe einrichten? Als Nachbarschaftsgarten nutzen? Oder gar als Bauland verkaufen?
Es war ein Tabubruch, als 2007 ein Teil des stillgelegten Friedhofs in der Heinrich-Roller-Straße mit Wohnungen bebaut werden sollte. Eine Bürgerinitiative lief Sturm gegen die Pläne der evangelische Kirchengemeinde St. Petri/St. Marien. Anwohner hängten Transparente mit Parolen wie „Keine Wohnungen auf Gräbern“ aus den Fenstern. Der Protest hatte Erfolg: Die Bebauung wurde abgeblasen. Heute ist der „Leisepark“ […]
Drastischer Rückgang beim Flächenverbrauch
Der fundamentale Wandel im Bestattungsverhalten hat bereits in den 1980er Jahren begonnen. Immer mehr Menschen werden nicht mehr in Särgen, sondern in platzsparenden Urnen oder in Gemeinschaftsgrabanlagen bestattet – aus Kostengründen, ebenso weil man […] und so hat der Berliner Senat 2006 den Friedhofsentwicklungsplan (FEP) beschlossen. Er legt fest, welche Friedhöfe für Beerdigungen erhalten bleiben und welche geschlossen und umgenutzt werden können. Seitdem ist die Nachnutzung von Friedhöfen ein – heftig umstrittenes – Thema der Stadtplanung. Das hat auch mit dem unterschiedlichen Pietätsempfinden zu tun. Einige erschaudern bei dem Gedanken, dass sich im Boden des Parks noch menschliche Knochen befinden könnten, andere halten Sonnenbaden zwischen Gräbern für ganz normal. Entsprechend heftig prallen die Vorstellungen aufeinander. […] Aber auch gegen die Umnutzung zur Grünfläche regt sich mitunter Protest. So will der Evangelische Kirchenverband derzeit den Luisenstädtischen Friedhof an der Bergmannstraße zu einem öffentlichen Park umgestalten. Kleinere kulturelle Veranstaltungen, etwa Klavierkonzerte oder Literatursalons, wie es sie bereits an den Friedhöfen am Halleschen Tor gibt, sind angedacht. Bei den Kreuzbergern stoßen diese Überlegungen auf wenig Gegenliebe. „Wir brauchen keinen Vergnügungspark für Touristen, die irgendwann mit Bierbikes durch das Gelände direkt zum Tempelhofer Feld fahren können“, sagt Anwohner Heinz Kleemann. Man solle den Ort einfach so belassen, wie er ist und der Natur Raum zur Entfaltung geben. „Das würde ich ja gerne tun, aber wovon soll die Pflege bezahlt werden?“, meint Quandt. Der Friedhof ist denkmalgeschützt, man sei daher in besonderer Weise zum Erhalt verpflichtet. Öffentliche Gelder dafür gibt es, anders als bei den kommunalen Friedhöfen, nicht. Quandt gibt offen zu, dass man durch den geplanten Status als Park finanzielle Mittel akquirieren will. Aber es gehe auch darum, dieses großartige Gartendenkmal mit seiner Vielzahl von prächtigen Mausoleen einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. „Friedhöfe sind Orte für die Toten und für die Lebenden“, findet Pfarrer Quandt. Man wolle eine friedhofsverträgliche Nutzung, kein Halligalli.
Tabuthema Tod
[…] was ist der Würde des Ortes angemessen? Über diese Frage ist derzeit auch im Prenzlauer Berg ein heftiger Streit entbrannt, zumindest vordergründig. „Gartendenkmal, kein Freizeitpark“ steht mahnend auf einem großen Transparent am Eingang zum Friedhofspark Pappelallee. Die Freireligiöse Gemeinde e.V., der die kleine Fläche zwischen Pappelallee und Lychener Straße gehört, beklagt das respektlose Verhalten der Besucher. Kitagruppen würden auf Grabsteine klettern. Mitunter werde sogar gegrillt. Die kulturhistorische Bedeutung dieses Orts, auf dem viele Dissidenten begraben sind, sei den meisten Nutzern völlig egal.
Neubau als Geldquelle?
Weil der ursprüngliche Charakter des Friedhofsparks ohnehin verloren gegangen sei, plant die Gemeinde nun auf einem Teil der Fläche einen Neubau. Dagegen kämpft eine Bürgerinitiative. „Wir wollen eine der wenigen ruhigen Oasen im Kiez erhalten, es gibt hier viel zu wenige Freiflächen“, sagt Anwohner Thomas Reimer. Der Park werde vor allem von ruhigen Spaziergängern und Müttern mit Kindern genutzt. Reimer hält die vorgebrachten Argumente für einen Vorwand. „Dem Verein geht das Geld aus, er kämpft ums Überleben.“ Über den Neubau in einer Top-Lage wolle man an dringend benötigte Mittel kommen. […]
Auch der Evangelische Friedhofsverband verfolgt an mehreren Standorten Baupläne. Zum Teil werden ganze Friedhöfe verkauft, etwa an der Barfusstraße in Wedding. Doch meist sind es umgewidmete Teilareale, etwa auf dem Georgen-Parochial-Friedhof am Volkspark Friedrichshain, wo derzeit eine Baugruppe 40 Eigentumswohnungen in Holzbauweise errichtet. In der Hermannstraße will der Verband selber Flüchtlingswohnungen bauen und später über einen diakonischen Träger vermieten. Um eine soziale Mischung zu erhalten, sollen später auch andere Bevölkerungsgruppen, etwa Studenten einziehen können. Am Rande des Friedhofsensembles Bergmannstraße will man entlang der Jüterboger Straße modulare Unterkünfte für Flüchtlinge bauen. Doch zum einen sind diese Friedhöfe anders als in der Hermannstraße denkmalgeschützt, zum anderen gibt es heftigen Protest: „Nicht, weil wir gegen Flüchtlinge wären, sondern weil wir diese Grünfläche brauchen“, betont Klaus Lückert von der Bürgerinitiative gegen die Bebauung der Bergmannfriedhöfe. Der Initiative geht es in erster Linie um den Erhalt als wichtige Frischluftschneise und kulturhistorisches Denkmal. Zudem sind die Friedhöfe Biotop für Flora und Fauna, wie auch ein Gutachten des Naturschutzbundes belegt. Anders als behauptet werde auch nicht lediglich ein kleiner Streifen am Rande bebaut. „Das geht wenige Zentimeter an den Gräbern vorbei“, sagt Lückert. Auch das Argument der Geldnot lässt er nicht gelten: „Die Kirche hat genug Steuergelder und andere Einnahmen, die sie einsetzen könnte.“ Dass ausgerechnet die Kirche die Friedhofe den Menschen entreißt, kann er nicht verstehen. Die Flüchtlinge seien nur ein Vorwand, um einen Fuß in die lukrative Vermarktung als Bauland zu bekommen. Das sieht Heinz Kleemann ähnlich. Er sagt, der Friedhofsverband versuche, eine 2015 eingeführte Sonderregelung für seine Zwecke auszunutzen. Demnach ist eine Bebauung für Geflüchtete auch ohne Änderung des Bebauungsplans zulässig – allerdings nur, wenn es sich um temporäre Bauten handelt. Doch die geplanten Module, so Kleemann, seien faktisch für eine Dauer von mindestens 50 Jahren angelegt. „Die Bauten sind ganz klar der Einstieg in die spätere hochpreisige Nachnutzung als Bauland.“ Derzeit lehnt das Landesdenkmalamt die Baupläne ab, doch die Gegner der Bebauung befürchten, dass die Kirche hinter den Kulissen ihre Einflussmöglichkeiten nutzt. […]
Birgit Leiß
Von der Dorfwiese zur Parkanlage
[…] Bis in die 1970er Jahre hinein gab es im Westteil der geteilten Stadt zu wenig Bestattungsfläche. Man reagierte darauf, indem man die Ruhezeit verkürzte und platzsparende Urnengemeinschaftsanlagen einführte. Erst ab den 1980er Jahren war ein Flächenüberhang zu verzeichnen. bl
Zahlen und Fakten
In Berlin gibt es 220 Friedhöfe mit einer Fläche von rund 1100 Hektar. 84 davon sind kommunal, 117 sind im Eigentum der evangelischen Kirchengemeinden. […] bl
Hinweis: Bei dem Artikel handelt es sich um die Titel-Geschichte des Mietermagazins Juli/August 2018. Sie wurde hier ausnahmsweise gekürzt wiedergegeben. Fotos, Absatzzeichen, Links wurden entfernt, Auslassungen so […], Hervorhebungen durch Fettdruck kenntlich gemacht. Wenn Sie den Artikel im Original lesen möchten, so folgen Sie einfach diesem Link: https://www.berliner-mieterverein.de/magazin/online/mm0718/friedhoefe-in-berlin-ueber-die-nachnutzung-streiten-kirchen-anwohner-und-planer-071814.htm
Bergmannfriedhoefe.de – 7. Juli 2018